Kleine Schritte

Den eigenen Weg zu gehen ist das Ziel. Doch er ist nicht immer leicht zu erkennen, und wohl selten nur, verläuft er gerade wie eine Allee. Viele Kurven oder Steigungen stellen das Ziel in Frage. Es gibt keinen vorgezeichneten Weg für uns.Tag für Tag gilt es, seine Kräfte und Grenzen zu erproben, kleine Schritte in eine nicht nur sichere Richtung wagen. Dabei stoßen wir manches Mal an Wegkreuzungen und müssen uns entscheiden. Viel Begegnungen braucht es auch, um herauszufinden, welcher Mensch sich als wahrer Freund erweist und wer nur seine eigenen Interessen im Sinn hat. Wenige werden uns zu Begleitern. Eigene Spuren hinterlassen wir nur da, wo wir Vorbilder nicht kopieren, sondern sie als Wegweiser zur Selbstwerdung verstehen und wir selber Profil bekommen.
Thomas Romanus

Eine Begegnung verwandelt

Eine Begegnung bietet die Möglichkeit, einen anderen Menschen und sich selbst besser kennen zu lernen. Wer bereit ist, sich auf ein Gegenüber einzulassen, vermag hinter alltäglichen Oberflächlichkeiten ein unbekanntes DU zu entdecken.

Ein Zwischenraum entsteht, in dem beide Seiten eine neue Sichtweise auf das Leben gewinnen. Es bewahrt seinen unverwechselbaren Charme, wer sich gibt wie er ist.
Th. Romanus

Experimente mit der Anerkennung eigener Erfahrungen

Egal was du gerade tust,
bemuttere deine eigenen Erfahrungen.

Die Wohltat:
Seine echten, wirklichen Erfahrungen zu bemuttern und nicht denen zu folgen, die die anderen vorgeben, das bringt die höchste Wohltat: das Glück, authentisch aus sich heraus zu leben und sich selbst wertzuschätzen.

Das Glück von Authentizität

Statt Theorien – lieber eigenen Erfahrungen folgen „Dieses Sutra lautet: Bemuttere bestimmte Erkenntnisse. Warum bestimmte Erkenntnisse? Du bemutterst auch welche, aber was für welche? Du bemutterst bestimmte Theorien – nicht Erkenntnisse; bestimmte heilige Schriften – nicht Erkenntnisse; bestimmte Hypothesen, Systeme, Philosophien, Weltanschauungen – aber niemals bestimmte Erkenntnisse. Dies Sutra fordert: Wirf sie auf den Müll. Heilige Schriften, Theorien, das alles bringt nichts. Mach deine eigenen Erfahrungen, die wirklich sind – deine eigenen Erkenntnisse –, und nähre sie. Wie trivial sie auch immer sein mag, eine wirkliche Erkenntnis ist immer etwas, auf das kannst du dein Leben aufbauen kannst. Es mag sein, was es will, achte nur immer darauf, dass es wirkliche, konkrete Erkenntnisse sind, Dinge, die du erkannt hast.

„Ich weiß nichts“ – eine gute Erkenntnis

Hast du je etwas selbst erkannt? Du weißt so manches, aber es ist alles geborgt. Irgendwer hat es gesagt, irgendwer hat es dir beigebracht. Die Lehrer, die Eltern, die Gesellschaft – sie haben dein Denken konditioniert. Du „weißt“ über Gott Bescheid, du „weißt“ über Liebe Bescheid, du „weißt“ über Meditation Bescheid. In Wirklichkeit weißt du gar nichts! Du hast nichts selbst gekostet – all dies ist nur ausgeliehen. (…)

Sich bemuttern bedeutet, die eigene Unwissenheit anzuerkennen

Da ist es besser, unwissend zu sein: Zumindest gehört die Unwissenheit dir. Sie ist authentisch! Sie ist real, aufrichtig und ehrlich! Lebe nicht so weiter mit geborgtem Wissen, sonst wirst du vergessen, dass du unwissend bist, und dann bleibst du unwissend. Dieses Sutra besagt: … bemuttere bestimmte Erkenntnisse – achte immer darauf, dass alles, was du weißt, frisch, direkt, unmittelbar ist. Glaube nicht irgendwem. Dein Glaube wird dich in die Irre führen. Vertraue dir selbst. Und wie kannst du, wenn du dir selbst nicht vertrauen kannst, irgendwem sonst vertrauen? (…)

Als unwissendes Wesen – wie kann ich mir selbst vertrauen?

Aber wie kannst du vertrauen, wenn du nichts weißt? Wie kannst du dir selbst vertrauen, wenn du keinerlei Erfahrung hast? Versuche einmal, dir selbst zu vertrauen; geh nicht davon aus, dass dieses Schauen, durch die Augen anderer, nur auf die Erfahrung des Absoluten zutreffe – sie trifft auch auf gewöhnliche Erfahrungen zu. Aber lass es deine eigenen sein. Sie werden dir helfen zu wachsen, sie werden dich reifen lassen, sie werden dich gereifter machen.

Alles nähren, was aus dir kommt

Dies ist wirklich seltsam – dass du mit den Augen anderer siehst, mit den Leben anderer lebst. Du nennst eine Rose schön. Ist das wirklich dein Gefühl oder nur etwas Angelerntes, etwas, womit du aufgewachsen bist – dass eine Rose schön ist? Ist das deine Erfahrung? Hast du es erkannt? Du sagst, dass das Mondlicht gut, dass es schön sei. Ist das dein eigene Erkenntnis, oder sagst du das nur, weil die Dichter davon gesungen haben und du es nur nachplapperst? Wenn du wie ein Papagei bist, kannst du dein Leben nicht authentisch leben. Wann immer du etwas behauptest und wann immer du etwas von dir gibst, dann prüfe erst in dir nach, ob das auch deine Erkenntnis und deine Erfahrung ist.

Pflichten, die von anderen ausgesprochen werden

Wirf alles hinaus, was nicht aus dir kommt – es ist nutzlos. Und hege und nähre alles, was aus dir kommt, denn nur dadurch wirst du wachsen. Bemuttere … in der Wirklichkeit bestimmte Erkenntnisse, bestimmte Handlungen. In der Wirklichkeit – bitte nicht vergessen! Und: Handlungen. Hast du je gehandelt, oder bist du immer nur anderen gefolgt, nur Befehlen gehorchend? „Liebe deine Ehefrau!“ – hast du sie wirklich geliebt? Oder kommst du nur einer Pflicht nach, weil dir das so gesagt wurde, weil du es so gelernt hast: „Liebe deine Ehefrau!“ Oder: „Liebe deine Mutter, liebe deinen Vater, liebe deinen Bruder!“… also bist du liebevoll und gehorchst! Hast du sie je, wenn du bei ihnen warst, geliebt? (…)

Der mutige Schritt: in seinem inneren Zentrum bleiben

Denke immer daran: Egal was du gerade tust, achte darauf, ob dein inneres Zentrum daran beteiligt ist oder nicht; denn wenn sie nicht beteiligt ist, lässt du es besser bleiben. Tu es nicht! Niemand zwingt dich, irgendetwas zu tun. Tu’s nicht! Bewahre dir deine Energie für den Augenblick, wo dir etwas Wirkliches widerfährt. Lächle nicht – bewahre die Energie. Das Lächeln wird schon kommen – aber dann wird es dich vollkommen verändern; dann wird es total sein; dann wird jede Zelle deines Körpers lächeln; dann wird es eine Explosion sein – nichts Aufgesetztes.“

Osho, Zitat – Auszug aus
Das Buch der Geheimnisse:
112 Meditations-Techniken zur Entdeckung der inneren Wahrheit
Übersetzung: www.FindYourNose.com

Zuhören ist (k)eine Magie

Empathie klingt schnell wie eine ganz fortgeschrittene Technik für Psychologen, Pädagogen und andere „-ogen“. Dabei ist Zuhören uns allen in die Wiege gelegt, sie ist im Kern einfach Präsenz mit dem Anderen. Um wirklich tief zuhören zu können, müssen wir kaum etwas Neues lernen, aber manchmal Einiges verlernen. Und wir brauchen den Mut, einfach da zu sein, da zu bleiben ohne zu werten und nach Lösungen zu suchen. Empathie braucht keine Wort, sondern offene Ohren und ein offenes Herz. Elias Canetti schildert in seinen Lebenserinnerungen sehr eindrücklich, wie Hermann Broch zuhörte – ganz ohne Ausbildung und therapeutischen Zusammenhang und ganz ohne Worte.

Elias Canetti über Hermann Brochs Zuhören

… Er brachte es dazu, dass man über sich sprach, in Rage geriet und nicht mehr aufhören mochte. Man hielt das für ein besonderes Interesse an der Person, die man war, die Absichten und Pläne, die man hatte, die großen Entwürfe. … In Wirklichkeit war es seine Art des Zuhörens, der man verfiel. Man breitete sich in seiner Stille aus, nirgends stieß man auf Hindernisse. Man hätte alles sagen können, er wies nichts zurück, Scheu empfand man nur, solange man etwas nicht ganz und gar gesagt hatte. Während man sonst in solchen Gesprächen an eine Stelle gelangt, wo man sich mit einem plötzlichen Ruck „Halt!“ sagt, „Bis hierher und nicht weiter!“, da die Preisgabe, die man sich gewünscht hat, gefährlich wird – denn findet man wieder zu sich und wie soll man danach wieder alleine sein? -, gab es diesen Ort und diesen Augenblick bei Broch nie, nichts rief Halt, nirgends stieß man auf Warntafeln oder Markierungen, man stolperte weiter, rascher, und war wie betrunken. Es ist überwältigend zu erleben, wie viel man über sich zu sagen hat, je weiter man sich wagt und verliert, umso mehr fließt nach, von unter der Erde springenden heißen Quellen auf, man ist eine Landschaft von Geysiren. Nun war mir diese Art von Ausbrüchen nicht unbekannt, ich hatte sie von anderen erlebt, die zu mir sprachen. Der Unterschied lag darin, dass ich auf andere zu reagieren pflegte. Ich musste etwas darauf sagen, ich konnte nicht schweigen, und in dem was ich sagte, bezog ich Stellung, urteilte, riet, ließ Anziehung oder Ablehnung spüren. Broch, in dieser Situation, ganz im Gegensatz dazu, schwieg. Es war kein kaltes oder machtgieriges Schweigen, wie es von der Analyse her bekannt ist, wo es darum geht, dass ein Mensch sich rettungslos einem anderen ausliefert, der sich kein Gefühl für oder gegen ihn erlauben darf. Brochs zuhören war von kleinen, vernehmlichen Atemstößen unterbrochen, die einem bezeugten, dass man nicht nur gehört, dass man aufgenommen worden war, so als wäre man mit jedem Satz, den man sagte, in ein Haus getreten und lasse sich da umständlich nieder. Die kleinen Atemlaute waren die Honneurs, die einem der Gastgeber erwies: „Wer immer du bist, was immer du sagst, tritt ein, du bist mein Gast, bleib solange du willst, komm wieder, bleib immer!“ Die kleinen Atemlaute waren ein Minimum an Reaktion, voll ausgebildete Worte und Sätze hätten ein Urteil bedeutet und wären einer Stellungnahme gleichgekommen, bevor man sich noch ganz mit allem, was man mit sich herumschleppt, ins gastliche Haus eingebracht hatte. Der Blick des Gastgebers war immer auf einen selbst und zugleich auf das Innere der Räume gerichtet, in die er einen einlud.
Es war eine geheimnisvolle Aufnahme, die er einem gewährte, um derentwillen man Broch verfiel und ich kannte damals keinen Menschen, der nicht süchtig danach wurde. Diese Aufnahme hatte keine „Vorzeichen“, keine Bewertung, bei Frauen wurde sie zu Liebe.

Aus:  Elias Canetti; Das Augenspiel: Lebensgeschichte 1931-1937, S. 36/37, über Hermann Broch

 

Anregung: Nutze doch diese Woche jeden Tag die Gelegenheit, eine Erwiderung, einen Trost, einen Ratschlag NICHT zu sagen und stattdessen einige Minuten zuzuhören.