Vier Schritte Gewaltfreie Kommunikation

Das Ziel ist es, unsere Sensibilität zu trainieren, um einen anderen Impuls in unsere Beziehungen zu geben. Unsere Handlungsoptionen vervielfältigen sich auf einmal und geben dadurch die freie Wahlmöglichkeit einem Streit oder Konflikt anders zu begegnen. Oder im Nachgang das Thema nochmal aufzugreifen, statt in die Konfrontation oder in die Resignation zu gehen.

Der weise Torwächter

In einer alten Stadt, weit von hier entfernt, arbeitete einmal ein Torwächter. Jeder, der durch das Tor in die Stadt wollte, begegnete zuerst dem Torwächter. Eines Tages kam ein Fremder an das Stadttor. Er fragte den Wächter: „Wie sind die Menschen in dieser Stadt? Ich würde hier gerne wohnen.“ Der Torwächter erwiderte: „Wie waren die Menschen in deinem Wohnort?“
“Ach,” sagte der Fremde, “wo ich herkomme sind die Menschen schlecht, böse, unfreundlich und gemein.“ Der Torwächter antwortete: „So sind sie hier auch.“

Einige Zeit später kam wieder ein Fremder bei dem Stadttor an. Auch er stellte die Frage an den Torwächter: „Wie sind die Menschen in dieser Stadt? Ich würde hier gerne wohnen.“ Und der Torwächter gab auch ihm dieselbe Frage zurück: „Wie waren die Menschen in deinem Wohnort?“
„Oh“, sagte der Mann. „sie sind eigentlich freundlich und hilfsbereit gewesen, wir lebten in Frieden miteinander.“
Da antwortete der Torwächter wiederum: „So sind die Menschen hier auch.“

Ein Mann, der die ganze Zeit in der Nähe stand, hatte beide Gespräche gehört. Er fragte den Torwächter: „Warum erzählst du zwei total verschiedene Dinge über die Menschen in unserer Stadt? Zu dem einen sagst du, dass sie schlecht und böse sind, während du dem anderen erzählst, dass jeder hier freundlich und gut ist.“

Der Torwächter antwortete: „Die Menschen hier sind gut und schlecht, sie können freundlich sein und sie können bösartig sein, sie können dir helfen und sie können gemein zu dir sein. Das hat damit zu tun, auf welche Weise du selbst mit den Menschen umgehst. Wenn du freundlich bist, wirst du auch Freundlichkeit empfangen. Und wenn du bösartig bist, wirst du auch Bösartigkeit zurückbekommen. Diese Fremden werden in unserer Stadt dasselbe erfahren, wie in ihrem eigenen Wohnort.“

 

Ich habe noch nie einen faulen Mann gesehen

Ich habe noch nie einen faulen Mann gesehen;
ich habe schon mal einen Mann gesehen,
der niemals rannte, während ich ihm zusah,
und ich habe schon mal einen Mann gesehen,
der zwischen Mittag- und Abendessen manchmal schlief,
und der vielleicht mal zu Hause blieb an einem Regentag,
aber er war kein fauler Mann.

Bevor du sagst, ich wär‘ verrückt, denk’ mal nach, war er ein fauler Mann, oder hat er nur Dinge getan, die wir als „faul“ abstempeln?

Ich habe noch nie ein dummes Kind gesehen;
ich habe schon mal ein Kind gesehen,
das hin und wieder etwas gemacht hat, was ich nicht verstand,
oder etwas anders gemacht hat, als ich geplant hatte;
ich habe schon mal ein Kind gesehen, das nicht dieselben Orte kannte wie ich,
aber das war kein dummes Kind.

Bevor du sagst, es wäre dumm, denk‘ mal nach, war es ein dummes Kind, oder hat es einfach nur andere Sachen gekannt als du?

Ich habe mich so intensiv wie nur möglich umgesehen,
habe aber nirgendwo einen Koch entdecken können;
ich habe jemanden gesehen, der Zutaten kombiniert hat,
die wir dann gegessen haben.
Jemanden, der den Herd angemacht und aufgepasst hat,
dass das Fleisch auf dem Feuer gar wird.
Das alles habe ich gesehen, aber keinen Koch.

Sag‘ mir, wenn du hinschaust, ist das ein Koch, den du siehst, oder siehst du jemanden Dinge tun, die wir kochen nennen?
Was die einen faul nennen, nennen die anderen müde oder gelassen, was die einen dumm nennen, ist für die anderen einfach ein anderes Wissen. Ich bin also zu dem Schluss gekommen, dass es uns allen viel Wirrwarr erspart, wenn wir das, was wir sehen, nicht mit unserer Meinung darüber vermischen. Damit es dir nicht passiert, möchte ich noch sagen: Ich weiß, was ich hier sage, ist nur meine Meinung.

Song von Ruth Bebermeyer

Die Blinden und der Elefant

In einem fernen Land stritten sich die Gelehrten einmal darüber, was Wahrheit ist.
Der König, ein wirklich weiser Mann, rief daraufhin einige Blinden zu sich und bat sie, einen Elefanten zu betasten. Danach fragte er, was denn ein Elefant ist.
Der Blinde, der die Ohren berührt hatte, sagte, dass ein Elefant groß und platt ist, derjenige,
der den Rüssel berührt hatte, sagte, dass ein Elefant lang und rund wie ein Rohr ist.
„Nein, das stimmt nicht“, rief ein anderer, „ein Elefant ist so stämmig wie eine Säule“.
Dieser Blinde hatte die Beine betastet. Der vierte Blinde berichtete, dass seiner Meinung nach ein Elefant lang und glatt und am Ende spitz ist. Er meinte damit die Stoßzähne.
Schließlich unterbrach der König sie und sagte: „Ihr habt alle recht, aber jeder hat nur ein kleines Stück des Elefanten beschrieben. Genauso ist es mit der Wahrheit:
Was wir sehen oder wahrnehmen, ist oft nur ein kleiner Teil dessen, was wirklich ist.“

Der deplatzierte Adler

Ein Bauer fing einmal einen jungen Adler. Zuhause angekommen setzte er ihn zu seinen Hühnern und gab ihm Hühnerfutter zu essen. Fünf Jahre später kam ein Naturforscher bei ihm zu Besuch. Während sie durch den Garten liefen, sagte er: „Dieser Vogel ist ein Adler, kein Huhn.“
„Ja,“ sagte der Eigentümer, „aber ich habe ein Huhn aus ihm gemacht. Es ist nun kein Adler mehr.“
„Es ist doch ein Adler,“ sagte der Naturfreund, „das werde ich dir zeigen.“
Der Naturforscher hob den Adler auf, hielt ihn hoch und sagte mit Nachdruck: „Adler, du bist ein Adler. Du gehörst in die Luft und nicht auf die Erde, spann deine Flügel aus und fliege!“
Doch als der Adler sah, wie die Hühner ihr Futter aufpickten, sprang er nach unten.
Der Besitzer sagte: „Ich habe dir doch bereits gesagt, dass er jetzt ein Huhn ist.“
„Nein,“ sagte der Naturforscher, “es ist ein Adler und das werde ich beweisen.“
Am nächsten Morgen nahm er den Adler mit auf das Dach des Hauses und sagte: „Adler, du bist ein Adler, spreiz deine Flügel und fliege!“
Doch wieder sprang der Adler, als er die Hühner picken sah, nach unten und begann, mit ihnen zusammen zu essen.

Der Besitzer sagte: “Ich habe dir doch gesagt, dass er ein Huhn ist.“
„Nein, er ist ein Adler! Er hat noch immer das Herz von einem Adler. Gib ihm noch eine Chance.”
Am folgenden Morgen nahm er den Adler mit auf einen hohen Berg. Dort hob er den Adler hoch und sagte zu ihm: „Adler, du bist ein Adler, du gehörst in die Luft, spreiz deine Flügel und fliege!“
Auf einmal spannte der Adler seine Flügel aus und mit einem befreiten Schrei stieg er auf, immer höher und höher und kehrte nie wieder zurück.