Der gute Grund

Eine Frau bietet ein Seminar an und bereitet sich kein bisschen darauf vor. Das Seminar geht voll den Bach runter, und das hat sie geahnt. Warum hat sie sich nicht vorbereitet?
Ein Mann wird arbeitslos, ohne Aussicht auf neue Arbeit. Er schiebt die Kommunikation mit dem Arbeitsamt wochenlang vor sich her und riskiert so auch noch den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Warum?
Weil ihr die Freundin nach zwei Jahren Funkstille so fehlt, überwindet eine Frau sich endlich, sie wieder anzusprechen. Nach zwei Tagen bricht sie den Kontakt jedoch erneut ab. Wieso fragt sie nicht nochmal nach?
Für all diese offensichtlich selbst-sabotierenden Verhaltensweisen (die übrigens oft mit viel Scham besetzt sind) gibt es einen guten Grund. Wie es hinter allen seltsamen, unpassenden, blöden, und sogar hinter destruktiven Verhaltensweisen einen guten Grund gibt. Man kann auch sagen, ein unbefriedigtes Bedürfnis, ein verborgenes Anliegen, das uns – unbewusst – ebenso wichtig ist wie unsere bewussten Anliegen.
Indem die Frau, die das Seminar angeboten hat, sich nicht darauf vorbereitet, hat sie vor sich selbst einen Grund geschaffen, warum das Seminar scheitern musste – und es konnte nicht mehr daran liegen, dass sie unfähig gewesen wäre. So hat sie sich ihr letztes Restchen Selbstrespekt bewahrt.
Indem der Mann sich der Kommunikation mit dem Arbeitsamt entzogen hat, hat er sich seine Selbstbestimmung und Würde erhalten, die er nach seinem Empfinden in der Unterwerfung unter die Regeln der Arbeitslosigkeit verloren hätte.
Indem die Frau den Kontakt abbricht, vermeidet sie, eine mögliche Ablehnung durch die Freundin zu erleben und rettet damit ihre Souveränität.
Zu erkennen, welche guten Gründe hinter dem „bescheuerten“ Verhalten stecken, und diese Bedürfnisse ganz zu umarmen und in Besitz zu nehmen ermöglicht, andere, weniger kostspielige Wege zu finden, wie sie erfüllt werden können.